24 Stunden in der digitalen Welt

Wer mit Internet, Google, Facebook, Twitter und Co. aufgewachsen ist, der findet die digitale Welt so selbstverständlich wie Essen und Schlafen. Wer aber früher erst aus der Tageszeitung erfahren hat, dass vor 20 Stunden ein Kriegsmanöver fehlgeschlagen ist oder verseuchte Eier im Supermarktregal liegen, für den ist der Informationsfluss im Internet die Hölle.
Doch die eigentliche Revolution fand viel früher statt: 1919 ging die erste bekannte Radiosendung an den Start. Seitdem werden Menschen in unterschiedlich großen Sendegebieten regelmäßig und zeitnah mit Informationen versorgt. Das Internet verdichtet heute nur das, was das Radio und später das Fernsehen damals geschaffen haben: Wir leben nicht mehr in unseren eigenen vier Wänden, sondern nehmen Anteil an Geschehnissen auf der ganzen Welt. Allerdings ist das Internet noch schneller und es fehlt die Filterfunktion einer Redaktion.

Sie hätten gerne ein Autogramm von ihrem Lieblingssänger? Twitter weiß, wo er gerade ist. Sie wüssten gerne mehr über den neuen Papst? Google hat seinen Lebenslauf, bevor der Vatikan ihn hat. Man kann ein Event nicht live mit verfolgen? Youtube hat das Video! Das Internet hat uns verändert: Wir gewöhnen uns daran, alles sofort auf dem Tisch zu haben. Im Warten sind wir nicht gut und Geduld ist schon lange keine Tugend mehr. Frei nach dem Motto „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ leben wir ständig im Jetzt.

Normale Gesetze gelten hier nicht mehr – außer eines! Die meisten von Ihnen haben es in der Schule im Physikunterricht mal gesehen. Die meisten von Ihnen haben es aber auch gehasst und in der Sekunde wieder vergessen, als sie den Stift neben der Klausur fallen gelassen haben: Das Gesetz der Unschärferelation. Man kann nie gleichzeitig die Zeit und den Ort eines Teilchens bestimmen. Was Heisenberg sich damals in seinem Kämmerlein überlegt hat, hat auch heute noch Hand und Fuß. Auch in der digitalen Welt! Ich kann zwar bestimmen, wann ich etwas im Internet preisgebe, aber nicht wo und bei wem es landet. Genauso kann ich an einem bestimmten Ort etwas für meine Zielgruppen ins Internet stellen, aber nicht wissen, ob es alle gleichzeitig erreicht.
Schnelligkeit und Globalisierung machen die Arbeit und das Leben unübersichtlich. Je mehr wir versuchen, uns anzupassen und tausend Dinge in 24 Stunden unterzubringen, desto mehr müssen wir die Reihenfolge planen. Während wir also beispielsweise den Artikel schreiben, denken wir schon darüber nach, wo wir die Ansprechpartner für den nächsten herbekommen. Doch bald müssen wir lernen, dass 24 Stunden begrenzt sind und wir Zeit und Ort voneinander trennen müssen. Wir können nicht überall zur gleichen Zeit sein.
Also: Filtern Sie! Was ist dringend? Was kann bis morgen warten? Und was ist die Mühe nicht wert, sich darüber Gedanken zu machen? Die neue Tugend heißt also nicht mehr Geduld, sondern Abwägung. Wer erkennt, welche Themen heute und morgen wichtig sind, der wird auch die Informationsflut im Internet besiegen können.

Anne Keppler

Eine philosophische Auseinandersetzung mit diesem Thema finden Sie unter:

http://medialdigital.de/2013/03/14/sxsw-die-zukunft-von-ort-und-zeit/

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